Wasserrückhalt
Schwammdörfer – „Agieren ist immer günstiger als Reagieren“

Grafische Darstellung wassersensibler MaßnahmenZoombild vorhanden

Jojo Ensslin c/o kombinatrotweiss

(14. Mai 2024) München - Extremwetterereignisse wie lokale Starkniederschläge und länger anhaltende Hitze- und Dürreperioden sind als Folgen des Klimawandels auch bei uns spürbar. Sie beeinflussen zunehmend das Leben in unseren Städten und Gemeinden. Siedlungsdruck, Infrastrukturmaßnahmen und neu ausgewiesene Wohn- und Gewerbegebiete verschärfen das Problem durch immer stärker versiegelte Flächen. In der Konsequenz können Niederschläge nicht mehr abfließen und Überflutungen verursachen. Wie wassersensible Maßnahmen Abhilfe schaffen können, erklärt der Münchner Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Franz Damm.

Herr Damm, was ist ein Schwammdorf und wie unterscheidet es sich von anderen Siedlungen?

Im Gegensatz zu einer normalen Siedlung verfügt ein Schwammdorf über eine wassersensible Infrastruktur. Das heißt, es wurden Maßnahmen ergriffen, die eine Versickerung, Verdunstung und Speicherung von Oberflächenwasser zur weiteren Nutzung ermöglichen bzw. verbessern. Dies geschieht etwa durch die Entsiegelung von Bodenflächen und die Begrünung von Dächern und Fassaden sowie durch Abflusswege zur Entlastung der Vorfluter. Gleichermaßen wichtig ist die Einbeziehung des Wasserhaushalts aus der umgebenden Landschaft, der Bau von möglichst natürlichen Wasserspeichern und Rückhaltebecken, um Starkregenereignisse aufzufangen und die Einführung intelligenter Wasserversorgungs- und Verteilungssysteme zur effizienten Nutzung und Verteilung von Wasserressourcen. Bei Siedlungen ohne wassersensible Anpassungen wird Regenwasser möglichst rasch abgeleitet.

Wie beeinflussen Schwammdörfer den Wasserhaushalt und die Qualität der umliegenden Gewässer?

Nach dem Schwammstadt-Prinzip wird örtlich möglichst viel Oberflächen- bzw. Regenwasser aufgenommen und gespeichert, statt es nur abzuleiten. Die Stadt bzw. Siedlung fungiert wie ein Schwamm, der Wasser aufnimmt, um es wieder abzugeben. So versickert z.B. Regenwasser, statt in die Kanalisation mit Abwässern zu gelangen, durch Erde und Kies gefiltert, in die Böden. Dies wirkt sich zum einen positiv auf die Grundwasserneubildung aus, zum anderen kann durch Rückhaltung das Regenwasser über die Vegetation wieder verdunsten. So bleibt das Wasser in einem Kreislauf an Ort und Stelle. Zudem werden durch Versickerung und Speicherung die Vorfluter und nachfolgenden Flussläufe entlastet. Ein großer Teil des Regenwassers kann sich folglich bei Starkregen nicht mit Abwässern in der Kanalisation mischen oder unkontrolliert in umliegende Gewässer gelangen.

Welche technischen und baulichen Anpassungen sind notwendig, um Schwammdörfer effektiv umzusetzen?

Um nur einige wichtige Maßnahmen zu nennen: Regenwasser sollte an Ort und Stelle möglichst oberflächennah zurückgehalten werden, etwa durch Mulden, Becken oder temporäre Feuchtflächen, damit es bei Niederschlagsereignissen kontrolliert ablaufen, versickern und verdunsten kann.
Eine weitere Anpassung ist die Begrünung der Flachdächer beispielsweise von Gewerbebauten als Retentionsdach. Die Dachbegrünung hält Niederschläge zurück und gibt sie verzögert über Verdunstung oder Drainagen wieder ab. Sie schafft zudem Lebensraum für Tiere und Pflanzen im Sinne der Biodiversität und bietet eine zusätzliche Dämmung. Was die Baumstandorte anbelangt, können diese durch so genannten Baumrigolen verbessert werden. Bäume in der Anwachsphase benötigen einen ausreichend durchwurzelbaren Raum von mindestens 30 Kubikmetern. Dieser Wurzelraum wird dann durch gezielte Zuführung mit unbelastetem Regenwasser durchnässt und damit das Wachstum und die Verdunstungsleistung gefördert.

Welche Materialien und Technologien/ Bauelemente sind am besten geeignet, um Schwammdörfer zu bauen?

Möglichkeiten für eine wassersensible Siedlungsentwicklung können, wie bereits angesprochen, die Dachbegrünung als Retentionsdach sein oder das Anlegen von Baumrigolen (Versickerungsfläche) sein. Weiterhin wäre es wichtig, Muldenversickerungen und insgesamt versickerungs- und verdunstungsfähige Böden zu belassen bzw. diese wieder herstellen. Zudem eigenen sich Gehölzstreifen zwischen Feldern sowie Grünverbindungen in Dörfern und kleinen Städten nicht nur für die Regenwasserretention, sondern auch für eine Verbesserung des Kleinklimas.

Wie können Schwammdörfer in die umgebende Landschaft einbezogen werden?

Konzepte zur Verbesserung der Versickerung und Speicherung sowie zum Hochwasserschutz in den Siedlungen sollten immer im Sinne einer umfassenden Schwammlandschaft umgesetzt werden. Durch die Aufweitung von Fließgewässern und Wiedervernässung der Landschaften kann der Abfluss in die Siedlungen verringert werden. Das Wasser hat bei Starkregen im Uferbereich mehr Ausweichmöglichkeiten und kann innerorts wieder langsamer fließen. Gliedernde und wasserrückhaltende Gehölzstreifen können dies unterstützen. Bei der Regionalplanung sollte man Überflutungsflächen gezielt vorsehen. Als weitere effektive Maßnahmen eignen sich Gräben und Mulden, die das Wasser führen bzw. sammeln. Generell sollten Wasserwege nicht zu lange sein, da sie bei Starkregen an Fließgeschwindigkeit und damit an Kraft zum Sedimenttransport aufnehmen.

Was sind die Herausforderungen bei der Umsetzung wassersensibler Maßnahmen?

Eine Herausforderung ist sicher, den Handlungsbedarf zu erkennen und richtig einzuschätzen. Daher ist es wichtig stets aufmerksam zu bleiben und Vorsorge- und Vermeidungsmaßnahmen zu treffen, bevor etwas passiert. Das Überflutungsgeschehen im Ahrtal zeigt auf erschreckende Weise, welche Auswirkungen – abgesehen von geografischen Besonderheiten – versiegelte Böden durch Bebauung und fehlende wassersensible Maßnahmen haben können.

Welche Vorteile bieten Schwammdörfer für die Bevölkerung?

Schwammdörfer sind resilienter bei extremen Wetterereignissen wie Starkregen, Dürre oder Überflutungen. Im Schadensfall entstehen extreme Kosten für die Beseitigung von Schäden, demgegenüber stehen verhältnismäßig geringe Erstellungs- und Unterhaltskosten bei wassersensiblen Maßnahmen. Dach- und Fassadenbegrünungen, Gehölze und Sträucher bieten zudem Lebensqualität, schaffen durch Verdunstung an Hitzetagen ein angenehmeres Kleinklima und bieten Schatten und Aufenthaltsqualität in der Dorfmitte. Die Baumbestände reduzieren die Windgeschwindigkeit an den richtigen Stellen; Hecken reduzieren die Verdunstung auf den Feldern und steigern die Erträge als weitere kleinklimatische Effekte.

Lässt sich bereits ein Bewusstsein für Schwammdörfer erkennen und sind Menschen vor Ort dazu bereit, das finanziell mitzutragen?

Wie in allen Belangen der Vorsorge gibt es Aufgeschlossene, die die Notwendigkeit, die Chancen und Vorteile eines Schwammdorfs erkannt haben. Auf der anderen Seite stehen die Skeptiker, die der Meinung sind, dass das Geld nicht da ist und für andere Maßnahmen gebraucht wird. Zudem sei ein Nutzen nicht direkt spürbar, man sei auch nicht so stark betroffen; und begrünte Flächen gäbe es sowieso schon genug. Vermutlich waren im Ahrtal auch einige dieser Meinung. Häufig wird eher Geld in die Behebung von Schäden investiert, und vergangene Fehler wiederholt als Mittel in präventive Maßnahmen zu stecken. Meiner Auffassung nach ist Agieren immer günstiger als Reagieren.

Porträtbild von Franz Damm

Ulrike Myrzik